Wie Powerfrau Betti mit dem Lipödem fertig wird
Wenn man Bettina (49 Jahre) anschaut, würde man nie erahnen, was sie in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Sie wirkt sehr selbstbewusst, offen und locker. Eine Frau, die immer gut gekleidet ist (so gut, dass sie 2023 die Shopping Queen von Braunschweig geworden ist) und immer ein Lächeln auf den Lippen hat. Betti, wie sie liebevoll von allen genannt wird, war nicht immer so selbstbewusst wie heute.
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Mit knapp 30 wurde bei Betti das diagnostiziert, was sich bereits in ihrer Pubertät abzeichnete. Lipödem.
Die Krankheit ist noch nicht richtig erforscht, aber in den letzten Jahren hat sich die Medizin in großen Schritten weiterentwickelt. Beim Lipödem werden vor allem die Beine, manchmal auch die Arme, immer dicker. Es ist nicht nur ein optisches Problem für die Betroffenen, es schmerzt auch. Das Lipödem ist eine Störung der Fettverteilung und es kommt zur unkontrollierten Fettvermehrung.
Von dieser Krankheit sind fast ausschließlich Frauen betroffen. In Deutschland leiden ca. 3,8 Mio. Menschen unter dieser Krankheit – viele Menschen wissen nichts von dieser Erkrankung und glauben, es ist eine schlechte Veranlagung, falsche Ernährung oder mangelnde Sporteinheiten – deswegen kann man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.
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In Extremfällen tragen Frauen am Oberkörper die Größe XS und an den Beinen XXL. Nicht nur das Äußere quält die Frauen, auch die Schmerzen durch die Wassereinlagerungen zwischen den Fettschichten. Die Ursache für Lipödem ist nicht wirklich geklärt – Experten vermuten Hormone, da die ersten Anzeichen meistens in der Pubertät oder nach der Schwangerschaft auftreten.
Genau so war es auch bei Betti. Sie merkte bereits in ihrer Jugend, dass sie, wie sie selbst sagt, zu „Fußballerwaden“ tendierte oder wie die älteren Herrschaften es ausdrückten, „ein breites Becken“ hatte. Menschen, egal ob Frau oder Mann, sind teilweise einfach taktlos und gemein. Sie musste sich Sätze von Männern anhören wie: „Du hast zwar ein hübsches Gesicht, aber Beine wie Baumstämme.“
Solche Sätze machen etwas mit jedem Menschen – egal wie selbstbewusst man ist.
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Bis zu diesem Zeitpunkt wusste Betti noch nicht, dass sie eine Krankheit hat. Nach der Schwangerschaft wurden die Symptome extremer und sie merkte, irgendetwas stimmt nicht. Trotz Diät passierte an den Beinen nichts. Am Oberkörper trug sie Größe 36 und ihr Gesicht wurde ganz schmal, der Unterschied war extrem zu sehen. Die Wasseransammlungen wurden heftiger und die Schmerzen begannen.
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Es gab ein einschneidendes Erlebnis. Eine Reportage über das Thema Lipödem bei Stern TV. Freunde sprachen Betti sogar darauf an.
„Mensch Betti, die Frauen sehen ja aus wie du.“
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„Du hast bestimmt diese Krankheit.“
Das war der Wendepunkt. Als erstes besuchte Betti ihren Hausarzt. Dieser konnte zu diesem Zeitpunkt noch nichts mit dem Thema Lipödem anfangen. Es begann ein Ärztemarathon.
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Bettis Selbstbewusstsein litt sehr darunter. Wie bereits gesagt, sie ist eine sehr weibliche Frau, die sich gerne „sexy“ kleidet, eine Frau, die gerne Kleider trägt. Das schien für sie nicht mehr möglich mit ihren Waden. Sie fühlte sich nicht mehr wohl in ihrer Haut. Aber nicht nur das, Betti war schon immer sportlich. Sie spielte Mannschaftssportarten in ihrer Jugend, ging laufen und war immer sehr aktiv.
„Als Jugendliche dachte ich zwischendurch, ich würde zu viel Sport machen und sehe deshalb so aus.“ Aber auch der Verzicht auf Sport brachte keine Besserung.
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Jahre später verschlimmerte sich das Krankheitsbild weiter und Bettis Mobilität war durch die starken Schmerzen eingeschränkt.
Ich frage Betti, wie man sich fühlt, wenn man keine Kontrolle über eine Krankheit hat.
Betti lächelt, wie immer. Sie ist ein sehr fröhlicher Mensch.
„Man muss nach vorne gucken, stark bleiben und kämpfen.“
Betti ist eine Kämpferin. Sie hatte sich damals entschlossen, dem Lipödem den Kampf anzusagen.
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Nach mehreren enttäuschenden Arztbesuchen fand Betti endliche einen Arzt, der ihr helfen konnte und die Krankheit diagnostizierte. Bevor es aber „richtig“ los gehen konnte, musste Betti sich der typischen, konservativen Therapie unterziehen.
Das bedeutet, man muss einen BMI von mindestens 35 haben, Lymphdrainage machen und seine Ernährung umstellen und ein bis zwei Jahre (den ganzen Tag, auch im Sommer!) eine Kompressionsstrumpfhose tragen. Betti hatte ihr Ziel vor Augen und wusste, es wird sich lohnen. Aufgeben war keine Option. Sie zog ihr Programm durch.
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Innerhalb von einem Jahr nahm sie 24 kg ab und im Folgejahr weitere 6 kg.
Wie sie das gemacht hat?
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Sie informierte sich und ließ sich, unter anderem, von einer Heilpraktikerin bezüglich Ernährung beraten. Betti schwört auf Intervallfasten, gesunde Fette (Nüsse, Avocado, Fisch), Vollkornprodukte, kein Zucker und kein Weißmehl. Sie aß zwei Jahre kein Brötchen vom Bäcker, wenn dann selbstgebacken. Abends gab es nur Eiweiß und nichts mehr nach 18 Uhr. Außerdem verzichtet sie gänzlich auf Schweinefleisch, das war auch ein wichtiger Tipp der Heilpraktikerin, den sie bis heute beherzigt. Auch Sport stand regelmäßig auf dem Programm. Aber Ernährung und Sport helfen nicht ausreichend bei dieser Krankheit. Die Fettansammlungen lassen sich dadurch nicht reduzieren. Was wirklich hilft, ist eine Operation.
Linderung der Beschwerden kann auch durch manuelle Lymphdrainage, regelmäßige Krankengymnastik und das Tragen von Kompressionsstrümpfen erzielt werden.
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Wie so oft im Leben, klappt es nicht beim ersten Mal. Nachdem die Therapie trotz eiserner Disziplin nicht das Ergebnis erzielt hatte (das ist bei dieser Krankheit nicht möglich) und der Arzt dies auch bescheinigte, stellte sie den Antrag auf eine Operation bei der Krankenkasse. Leider wurde dieser abgelehnt. Es gibt Menschen, die geben auf und es gibt Betti. Betti kämpfte weiter.
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Die Lipödem Krankheit verläuft in drei Stadien. Im Stadium 1 ist die Unterhautschicht noch gleichmäßig verdickt. Im Stadium 2 wird sie knotenförmig und die Hautoberfläche wird uneben. Im Stadium 3 verhärtet sich das Gewebe. Es entstehen Fettwülste, die im Knie- und Oberschenkelbereich zu Einschränkungen der Mobilität führen. Bei Betti wurde das Stadium 2 diagnostiziert.
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Bis vor kurzem übernahmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten nur in Einzelfällen. Seit 2020 ist die Kostenübernahme in Stadium 3 eine Kassenleistung. Betti war noch in Stadium 2, aber ihr Leidensweg war so lange, dass die Operationen schlussendlich von der Kasse übernommen wurde. Zumindest die OPs an den Beinen.
Das zeigt uns – wenn man etwas wirklich will, dann darf man nicht aufgeben. Das gilt für alle Lebenslagen.
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Wie funktioniert so eine OP eigentlich?
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Zu Beginn der Operation wird die so genannte Tumeszenzlösung, eine Speziallösung aus Kochsalz, Lokalanästhetika und Adrenalin, in das Fettgewebe injiziert. Adrenalin ist ein Medikament, das eine Zusammenziehung der Blutgefäße im Bereich des Fettgewebes bewirkt. So wird ein möglicher Blutverlust während der Operation vermieden.
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Nach 15 Minuten wird das Fettgewebe mittels Kanülen abgesaugt, die über einen Schlauch mit einer Fettabsaugungsvorrichtung verbunden sind.
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„Man sollte nicht die Illusion haben, dass man danach direkt weniger wiegt. Man wiegt eher 3-4 kg mehr, aber man sieht schlanker aus“, sagt Betti ehrlich. Sie berichtet ebenfalls von sehr starken Schmerzen, die 2-3 Wochen anhalten und blauen Flecken. „Ich würde es jeder Zeit wieder tun“, sagt Betti entschlossen. Der Schmerz und die Ausdauer haben sich gelohnt. Für Betti ist es ein völlig neues Lebensgefühl.
Betti hat insgesamt fünf Operationen und zwei Hautstraffungen hinter sich. Für einige Operationen hat sie eisern gespart und diese selber bezahlt. Das Lipödem ist nie weg – sagt Betti selber. Sobald man sich schlecht ernährt, sucht es sich seinen Weg. Allerdings kommt es nicht dort wieder, wo es abgesaugt wurde, aber eben woanders.
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Nach Der OP bekommt man ein Jahr Lymphdrainage von der Krankenkasse bezahlt und sollte diese auch in Anspruch nehmen. Am besten man behält die Therapie ein Leben lang bei.
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Außerdem schwört Betti auf ihren Lymphomaten (diesen kann man sich über die Krankenkasse leihen).

Betti relaxt in ihrem Lymphomaten.
Auch Jahre nach der Operation nutzt sie diesen regelmäßig. Der Lymphomat sieht aus wie ein Schlafsack und hilft bei Wasseransammlungen im Körper, fördert die Durchblutung und spült Schlacken weg. Im Lymphomat werden die Beine in einen Druckluftstrumpf gelegt.
„Hierbei kann man super ein Buch lesen oder einfach relaxen“, sagt Betti. Sie sieht immer das Positive.
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Betti ist eine Kämpferin und bleibt dran! Sie achtet weiterhin auf ihre Ernährung und zieht ihr Sportprogramm durch.
„Ich mag Kraftsport auch nicht, aber es ist super wichtig“, sagt sie. Auch Schwimmen steht regelmäßig auf dem Programm.
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Natürlich gönnt Betti sich auch mal ein Gläschen Wein oder eine Pizza. Im Alltag versucht sie jedoch, eisern zu bleiben und zieht ungesüßten Tee und Wasser vor.
Kennt Betti eigentlich andere Frauen mit dieser Krankheit?
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Ja! Durch das Internet konnte sie sich einer Selbsthilfegruppe anschließen. Sie ist immer noch in dieser Gruppe und tauscht sich regelmäßig mit den Ladies aus.
Hierüber ist sie immer auf dem neusten Stand und ist auch auf die Vera Meyer (Wunderhose) gekommen.
Ja genau: Wunderhose. Es handelt sich um Sportleggings (die wirklich stylisch aussehen) und noch dazu eine Funktion haben. Betti hat sogar einen eigenen Rabattcode für die Hose. Getragen wird die Hose immer zum Sport, aber auch mal in der Freizeit.
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Wenn Betti Frauen sieht, die ihr Krankheitsbild aufweisen, spricht sie diese auch offen an. So konnte sie bereits einigen helfen, die noch gar nicht wussten, dass sie diese Krankheit haben.
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Was rät Betti Betroffenen?
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Selbstmotivation steht für Betti an erster Stelle! Auch wenn man mal keine Lust auf Sport hat, danach fühlt man sich wundervoll und ist stolz auf sich. Zwischendurch muss man natürlich immer etwas Schönes machen. Betti ist ein positiver Mensch und das lässt sie sich von niemandem kaputt machen. Die eigene Einstellung ist alles!
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„Macht es! Legt los! Ihr seid nicht alleine!“ ermutigt Betti.
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Das lässt sich nicht nur für die Krankheit Lipödem festschreiben. Heutzutage findet man so viele Selbsthilfegruppen im Internet – egal welches Problem. Reden hilft und man findet immer eine Lösung. Man muss an sich glauben und den eigenen Schweinehund überwinden. Danach wird man sich immer besser fühlen.
Auch der kleinste Erfolg zählt.
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Bei Fragen zu diesem Thema wendet euch gerne direkt an Betti (sie verrät euch auch ihren Rabattcode für die Wunderhose, nimmt euch in die Selbsthilfegruppe auf und/oder tauscht sich gerne mit euch aus).
Hier noch zwei Buchtipps von Betti: